"Die höchste Form der Individualität ist die Kreativität."

Prof. Gerhard Uhlenbruck

 Kooperationen 

Michael Thuermer     v.i.s.d.p.

Juni 2014

Multi-Dienstleister für den mittelständischen Fachhandel

Welche Leistungen braucht der Fachhandel?

Die Geschichte der Kooperationen im Handel mit baunahen Sortimenten ist noch keine 120 Jahre alt. Kooperationen im Baustoffhandel sind sogar noch jünger. Sie gibt es gerade einmal gut 50 Jahre. Und erst knappe zehn Jahre später kam die erste Holzhandelskooperation hinzu, damals als lose organisierte Einkaufsgemeinschaft einiger Holzhändler. Auch dies ist mit ein Grund – neben der Globalisierung der Märkte, dem Verwischen von Sortimentsstrukturen und einem immer schärferen Wettbewerb –, dass die Kooperationslandschaft so stark in Bewegung ist wie nie zuvor. Das Ende der Entwicklung ist keinesfalls abzusehen.

Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden die ersten Kooperationen in den baunahen Handelssegmenten Eisenwaren und Haushaltswaren. Beginnend in den 1960er Jahren bis 1991 wurden etwa 20 Kooperationen im Baustoffhandel, einschließlich von Spezialisten im Bedachungs-, Fliesen-, Trockenbau- oder Dämmstoff-Fachhandel, gegründet. Anfang der 1970er Jahre erfolgte der erste Zusammenschluss im Holzhandel, zwei weitere Gründungen folgten bis 1989. Von 1985 bis 2010 erweiterten vier bereits bestehende Eisenwaren-, Haushaltswaren- und Baustoff-Kooperationen ihre Geschäftsfelder in Richtung Holzhandel. Ebenso wurden auch Leistungen in Richtung Einzelhandel und später Baumarkt aufgebaut.

Mitte der 1990er Jahre waren schon fast alle mittelständischen Baustoffhändler kooperiert. Zehn Jahre später stiegen auch Hersteller und Konzerne – zunächst durch Übernahmen, später auch direkt – in eine Kooperation ein. Im Holzhandel betrug die Quote der kooperierten Händler Anfang der 1990er Jahre etwa 10% und ist heute auf etwa 50% angestiegen. Marktbedeutende Hersteller sind mit zwei Ausnahmen im Holzhandel nicht kooperiert. Im Einzelhandel mit Baumaterialien entstanden nur sehr wenige spezialisierte Kooperationen - zwei davon als Abspaltung aus bestehenden Kooperationen.

Bis 1998 entstanden so insgesamt 38 Kooperationen von oder für Baustoffe, Holz und entsprechende Einzelhändler. 1997 startete der erste Zusammenschluss von Kooperationen in einem Teilbereich. Später nutzten kleinere Kooperationen dann auch einzelne Dienstleistungen anderer Kooperationen und einige Kooperationen fusionierten oder schlossen sich komplett einer größeren Kooperation an. Heute sind noch 26 Kooperationen übriggeblieben. Allerdings weichen diese, was die Leistungsfähigkeit und Größe anbelangt, erheblich voneinander ab. Nur drei Kooperationen haben zielgerichtet expandiert und durch konsequente Akquisition von Gesellschaftern sowie von anderen Kooperationen, durch Erweiterung der Geschäftsfelder auf angrenzende Branchen, durch Internationalisierung und Entwicklung aller möglichen Dienstleistungen die Umsatzgrenze von 5,0 Mrd. Euro überschritten.

Allianzen – eine neue Form der Kooperation?

In den letzten Jahren hat sich auch die Kooperationsform der Allianz im Wesentlichen neu definiert, wobei die Zusammenschlüsse fast alle von Gesellschaftern derselben Kooperation erfolgten. Gab es eigentlich immer schon regionale – aber eher informelle - Gruppen von Fachhändlern, so sind erst Ende der 1990er Jahre daraus die Allianzen im Baustoffhandel entstanden. Heute sind - zumindest vom Umsatz her - fast alle Baustoffhändler in einer Allianz vertreten. Auch einige Holzhändler sind den Allianzen der Baustoffhändler beigetreten; 2012 ist die erste reine Holzallianz gegründet worden.

Kooperationen - hierunter zählen auch die Allianzen - professionalisieren und optimieren die freiwillige Zusammenarbeit von freien, rechtlich selbstständigen Unternehmen. Nicht immer sind die angeschlossenen Händler auch Gesellschafter der jeweiligen Kooperation. In der Praxis gibt es inzwischen eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle: von 100% Händlereigentum über Mitglieder- und Kundenmodelle bis hin zu börsennotierten Aktiengesellschaft.

Fakten, die den Sinn von Kooperationen und Allianzen hinterfragen

Schwerpunkt und Start vieler Gründungen bilden Einkaufskooperationen bzw.  -allianzen, die mittelständischen Unternehmern wettbewerbsfähige nationale bzw. regionale Rahmenkonditionen verschaffen und so eine Wettbewerbschance gegenüber Konzernen und Filialisten geben. Heute sind deshalb auch die meisten Baustofffachhändler kooperiert und überwiegend alliiert. Auch die mittelständischen Baumärkte sind in Systemen oder zumindest in Kooperationen eingebunden. Eine deutlich geringere Kooperationsquote vermeldet der Holzhandel – eine nahezu konzernfreie Branche, in der Allianzen kaum wahrgenommen werden.

In der Entwicklung der verschiedenen Handelskooperationen wurden dann je nach Kooperation weitere Geschäftsfelder aufgebaut und Leistungen wie Einkaufsbündelung, Information / Kommunikation / Messen, Logistik / Zentralläger, Vertrieb / Marketing, IT, Versicherungen, Schulungen, Standort-, Markt- und Sortimentsplanung, Beratung, Finanzierung usw. entwickelt. Einige Kooperation gingen auch dazu über, Leistungen  zu systematisieren. Es entstanden Eigen- bzw. Vertriebsmarken, Vertriebs- und Standortkonzepte.

Wirklich in der Lage, alle spezialisierten Dienstleistungen von der branchenübergreifenden Einkaufs- und Vertriebsberatung bis hin zur Standortplanung für die grüne Wiese zu erbringen, sind nur die drei großen, branchenübergreifenden Multidienstleister.  Sie waren es auch, die sich um 2000 im Rahmen ihrer jeweiligen Expansionsbemühungen mit anderen Kooperationen zusammenschlossen. Ziel war die Erschließung neuer angrenzender Geschäftsfelder für die eigenen Mitglieder und Gesellschafter.

Spiel mit offenen Karten

Der Erfolg war nur wenigen beschieden. Meist scheiterten diese Zusammenschlüsse bereits nach wenigen Jahren. Die unterschiedlichen Kulturen oder Geschäftsmodelle ließen sich nicht konsolidieren. Vor diesem Hintergrund sind die erneuten Versuche einiger Kooperationen mit unterschiedlichen zentralen und dezentralen Strukturen mit Skepsis zu betrachten.

Entscheidend für alle Kooperationen sind Transparenz und Relation von Kosten und Nutzen. Jeder Gesellschafter will einfach erkennen, wie hoch die Bonuseinahmen der Zentrale sind, wieviel einbehalten, wieviel ausgeschüttet wird. Diese Transparenz erwarten auch die Lieferanten der Branche.

Hinterfragt wird auch mehr und mehr in den Kooperationen das Wachstum um jeden Preis, vor allem dann, wenn mittelständisch orientierte Kooperationen den Pfad der Tugend aufgeben und externes Wachstum über die Aufnahme von Konzernen, Filialisten, Einkaufsgenossenschaften der Handelskunden oder sogar Lieferanten der Handelskunden generieren. Eine Verschiebung der Kosten-/Nutzen(Bonus)-Relation zu Lasten der Mittelständler ist unvermeidlich und wird von der Praxis bestätigt.

Allianzen als regionale Lösungen

Die ersten Allianzen im Baustoffhandel entstanden, um es den Konzernen gleich zu tun und regionale Vereinbarungen mit den Lieferanten zu verhandeln. Es ging um Boni, aber auch um die regionale Abdeckung eines Liefergebietes. In einer zweiten Welle von Allianzgründungen, die erheblich größer war, ging es dann plötzlich nur noch um die Erreichung von Leistungsstaffeln, die von einer Kooperation angehoben worden waren. Das führte dazu, dass nicht nur neue Allianzen entstanden, sondern sogar einzelne Allianzen zur Staffelerreichung fusionierten.

Die nächste Entwicklungsstufe vieler Allianzen war dann die zentrale Verhandlung von Haus-Konditionen für die einzelnen Gesellschafter. Inzwischen betätigen sich die erfolgreichen Allianzen auch auf anderen Gebieten. Sie bieten mittlerweile Dienstleistungen wie die Allianz-Dachmarke , Marketingmaßnahmen oder Logistikkonzepte  an.

Die Vielzahl der Baustoffhandels-Allianzen belegt, dass diese regionalen Verbundgruppen im Baustoffhandel deutlich mehr Konditionen verhandeln können als im Baumarkt oder im Holzhandel. In den großen Kooperationen spielen die Allianzen zudem eine wichtige Rolle für den regionalen oder persönlichen Austausch von Gesellschaftern, die nicht unmittelbar im direkten Wettbewerb stehen. Offenheit in der Kommunikation und Transparenz beim Kosten-/Nutzen-Verhältnis spielen hier wie in der Kooperation eine große, entscheidende Rolle.

Auch einige Holzhändler  gingen in den letzten Jahren eine Allianz mit Baustoffhändlern ein, um im Einkauf von Baustoffen wettbewerbsfähige Preise und Rahmenkonditionen zu erhalten bzw. relevante Staffeln der Leistungskonditionen zu erreichen. Dem gleichen Zweck dient die Allianz von Holzhändlern. Denn auch mittelständische Holzhändler haben allein keine Chance, die viel zu hohen Leistungsstaffeln einer Kooperation zu erreichen.

Kritisch werden Allianzen erst dann, wenn sie opponieren und sich als Zusammenschluss der Gesellschafter gegen die Zentrale verstehen. Der sich dabei entwickelnde „Kleinkrieg“ frisst erhebliche Ressourcen auf und kostet schlussendlich den eigentlich erwarteten Synergiegewinn.

Dienstleistungscampus oder alles aus einer Hand

Der Konzentrationsprozess innerhalb der baunahen Handelskooperationen schreitet unausweichlich voran. Gewinner werden jene sein, die über die beste Kosten/Nutzen-Relation verfügen. Mit ausschlaggebend ist auch das Dienstleistungsportfolio, das von der Kooperation erarbeitet wurde und angeboten wird. Wichtige Bausteine sind hier die Logistik und der Multi-Channel-Vertrieb. Große, branchenübergreifende Kooperationen, die sich als Dienstleistungscampus verstehen, werden das Tempo des Konzentrationsprozesses vorgeben. Kleinere, spezialisierte Kooperationen geraten ins Hintertreffen. Ob sie dies durch Fusion mit anderen kleinen kompensieren können, darf bezweifelt werden.

Diese Entwicklung der Kooperationen hat natürlich Auswirkungen auf die Branchen Baustoffhandel, Holzhandel, Fliesenhandel, Baumarkt und Fachmarkt sowie auf das Zusammenspiel aller. Hinzu kommt aktuell noch ein Strategiewechsel bei den Konzernen, der es dem Mittelstand ermöglicht, im Baustoffhandel sowie im Baumarkt  Konzernstandorte zu übernehmen. Konzerne verabschieden sich aus ganzen Regionen oder wickeln Standorte über Insolvenzen ab. Kooperationen nutzen diese Chance.

Bei den mittelständischen Fachhändlern sind branchenübergreifende Multi-Dienstleister gefragt, die den angeschlossenen Mitgliedern klare Vorteile in der Unternehmensentwicklung bringen. So konnten Großhändler bei der Entwicklung eigener Einzelhandelsaktivitäten auf bereits etablierte Leistungen einiger Kooperationen zurückgreifen. Aufgrund der gewachsenen Bedeutung der Modernisierung haben auch viele Fachhändler neue Sortimente und Zielgruppen aufgenommen. Bei Zugehörigkeit zur richtigen Kooperation können sie auch hier auf bewährte Konzepte zurückgreifen.

Branchenübergreifende Multi-Dienstleister entwickeln sich nahezu synchron - im Handel wie auch im Handwerk. Gerade die baunahen Handwerker dürfen inzwischen ja fast alle Gewerke einer Modernisierung ausführen und benötigen dafür alle Sortimente und Dienstleistungen aus einer Hand. Deshalb sind sie auch eher bereit, jenen Fachhändler aufzusuchen, der das ganze Modernisierungs-Sortiment anbietet. Das hat Folgen in der Handelsstruktur. So wurden in den letzten 20 Jahren mehr als 31 Holzhändler mit über 56 Standorten von Baustoffhändlern übernommen – im gleichen Zeitraum haben allein die TOP 10 Holzhändler bzw. ein Holzhersteller insgesamt 42 Holzhändler mit 50 Standorten übernommen. Weitere 40 Holzhändler mit 48 Standorten gingen an mittelständische Holzhändler. Von den insgesamt übernommenen 154 Standorten sind mittlerweile mehr als 31 Standorte geschlossen, Sortimente oder Kundenstamm aber übernommen.

Insgesamt wurden in diesem Zeitraum weit mehr als 200 Holzhandelsstandorte geschlossen oder meldeten Insolvenz an. An den Übernahmen im Baustoffhandel waren 17 Unternehmen beteiligt, im Holzhandel waren es 40 Unternehmen. Zusätzlich haben Baustoffhändler an Hunderten von Standorten Holzsortimente für Zimmerer und Dachdecker auf- oder ausgebaut und in den Ausstellungen Holz integriert. Kein einziger Holzhändler hat einen Baustoffhändler übernommen. Aber nur sehr wenige Holzhändler haben Baustoffe aufgenommen, zeigen Trockenbau oder Dachfenster in der Ausstellung.

Mehrere hundert Baumärkte und Baufachmärkte werden heute von Baustoffhändlern betrieben und verstehen sich als Vollsortimenter für Endverbraucher und deren Modernisierungsprojekte. Im Holzhandel ist die Anzahl der DIY-orientierten Holzfachmärkte stark rückläufig, die ehemaligen Leuchttürme der Branche sind geschlossen oder insolvent und die verbliebenen Einzelhandelsaktivitäten richten sich inzwischen auf den Ausstellungsverkauf. Vollsortimenter für Modernisierer sind eine seltene Ausnahme.

Wo liegen die Chancen im Holzhandel?

Der Wettbewerbsdruck durch die großen Mittelständler im Holzhandel ist überschaubar – kein Holzhändler erreicht national einen Marktanteil von 4%. Regional haben aber einige durch ausgefeilte Logistik – teilweise mit Zentrallager – Marktpositionen erreicht, die weniger gut aufgestellten Holzhändlern Marktvolumen wegnehmen. Die für die Industrie interessanten Abnahmemengen - ggfls. auch in schwachen Phasen - verstärken zusätzlich den regionalen Wettbewerbsdruck aufgrund guter Einkaufspreise. Hier können die Multi-Dienstleister der Kooperationen durch ihre Zentralläger Wettbewerbsnachteile ausgleichen und Sortimente wie Bauelemente, Holzwerkstoffe, Boden/Wand/Decke oder Holz im Garten zu wettbewerbsfähigen Preisen liefern. Baustoffe, Fliesen oder DIY-Artikel werden gleich mitgeliefert, um den Modernisierungs-Handwerker oder - Endverbraucher aus einer Hand zu versorgen.

Auch die stark expandierende Zielgruppe Zimmerer und Holzbau braucht neben Holz Baustoffe und Dachfenster. Der Verzicht auf diese Sortimente fördert mittelfristig nur den Baustoff- und insbesondere den Bedachungsfachhandel. Gerade die Hinwendung der Bedachungsfachhandels-Genossenschaften auf die Holzprodukte und die Gründung der vielen zentralen und neuerdings dezentralen Holzstandorte ist eine Leistung einer Kooperation. Will der Holzhandel die Kundegruppe Dach langfristig nicht verlieren, muss er sein Sortiment zumindest um Dachfenster, Trocken- und Dachbaustoffe ergänzen. Hier kann der Multi-Dienstleister helfen, der vom Konzept bis zur Standortplanung alles aus einer Hand an seine Fachhändler liefert.

Auch wenn sich das Tischlerhandwerk durch die Modernisierung und die aktuelle gute Baukonjunktur im Aufwärtstrend befindet, ist doch nicht zu übersehen, dass dieses Handwerk langfristig rückläufig war und sein wird. Zu viele Tischlerprodukte werden inzwischen industriell gefertigt. Die Zielgruppe Tischler steht unter besonderem Wettbewerbsdruck mit den großen Mittelständlern, aber auch umfangreichen Anforderungen der Hersteller. Die Einlagerung der aus Sicht der Hersteller notwendigen Anzahl von Dekore bei den beschichteten Platten übersteigt häufig die Leistungsfähigkeit kleiner Holzhändler. Ob die „Showrooms“ für Tischlerkunden einen Wettbewerbsvorteil generieren, darf bezweifelt werden – von der Amortisation der Investitionen ganz zu schweigen. Deutlich positiver ist die Entwicklung von Bearbeitungs- oder Zuschnitt-Zentren zu bewerten, die nach und nach in Deutschland bei Holzgroßhändler eingerichtet werden. Dass hier kleine Holzhändler mithalten können, bestätigt die Entwicklung der Holzgroßhändler in Österreich. Auch hier können Kooperationen mit Erfahrung unterstützen.